

„Was, dafür gibt es einen Namen?“
Mit einem Energiekonto zu mehr Lebensqualität
„Was, dafür gibt es einen Namen?“ So äussern sich viele Patienten und Patientinnen, wenn sie zum ersten Mal von Fatigue hören – und die Erleichterung ist ihnen dabei ins Gesicht geschrieben. Denn Fatigue ist eine Beeinträchtigung, welche die meisten Betroffenen für ein eigenes, selbstverschuldetes Unvermögen halten: Sie fühlen sich erschöpft, deprimiert und zu schwach, um alltägliche Tätigkeiten und Aufgaben auszuführen. Dadurch empfinden sie Stress und fühlen sich in der Folge noch erschöpfter – ein echter Teufelskreis. Oft hat vor allem die nächste Umgebung der Betroffenen für die scheinbare Lethargie nicht ausreichend Verständnis. Aufforderungen, sich zusammenzureissen, dann werde es schon gut, überfordern zusätzlich. Eine verfahrene Situation, die jedoch mit Hilfe von Fachleuten zu lösen ist. Denn diese vermitteln Betroffenen das nötige Wissen über Fatigue und wirkungsvolle Strategien, um ihren Alltag trotz Fatigue befriedigend gestalten zu können.
Motivierende und konstruktive Arbeit in der Gruppe
In Zihlschlacht beschäftigen sich Ergotherapeuten und -therapeutinnen seit langem intensiv mit dem sogenannten Energiemanagement und haben es jetzt auch als Gruppentherapie eingeführt. Das Konzept richtet sich vor allem an MS-Betroffene (Multiple Sklerose), ist aber auch anderen Fatigue-Betroffenen zugänglich wie z.B. Parkinson-Patienten und Patientinnen sowie Menschen, die ein Schädelhirntrauma erlitten haben oder an Krebserkrankungen leiden. Es ist auf einen drei- bis vierwöchigen Klinikaufenthalt zugeschnitten.
Es besteht gesamthaft aus einer anfänglichen und abschliessenden Einzellektion sowie fünf Gruppenlektionen auf den Zeitraum von drei bis vier Wochen verteilt. Zunächst erstellen die Patienten und Patientinnen mit professioneller Unterstützung ein sogenanntes Energiekonto, in dem sie festhalten, wofür sie bisher wie viel Energie aufgewendet haben – und wie viel Energie sie in Zukunft wofür aufwenden können und möchten. Sie definieren, welche Tätigkeiten sie aufgeben werden, welche sie weiter verrichten, welche sie wiederaufnehmen möchten – und was sie in Zukunft delegieren möchten.
In der Gruppe tauschen sie sich dann über persönliche Details im Alltag aus und erfahren so, dass sie nicht allein sind mit ihren Sorgen – ein sehr heilsames Erlebnis. Die Gruppe diskutiert und analysiert mit der Unterstützung der Fachexperten, wie Pausen gewinnbringender gestaltet werden könnten – oft unterscheidet sich die Vorstellung über erholsame Pausen von der Realität, was tatsächlich erholsam auf Körper und Geist wirkt. Im grösseren Rahmen eruieren sie, wie ein ausgeglichener Alltag aussehen und wie mit der nächsten Umgebung besser kommuniziert werden könnte. Letzteres ist besonders wichtig, um vom Umfeld Verständnis und damit auch wirklich wirksame Hilfe zu bekommen. „Gerade bei MS-Betroffenen beeinträchtigt die durch die Fatigue verursachte Erschöpfung die Lebensqualität oft am stärksten“, erklärt Andrea Flury, welche die Energiemanagementgruppe der Ergotherapie gegen Fatigue mit initiiert hat.
Gutgemeintes tut nicht immer gut
In einem abschliessenden Einzelgespräch werden dann die persönlichen Ziele im Alltag festgelegt. Ein solches Ziel könnte sein, sich den Angehörigen zu erklären. Mit dem individuellen Energieprofil können dann auch Missverständnisse aus dem Weg geräumt werden. Viele Leute bieten nämlich ihre Hilfe genau da an, wo Beeinträchtigte selber tätig sein möchten, weil es Ihnen gut tun würde, z.B. wenn sie selber kochen oder etwas umräumen – auch wenn dies mehr Zeit in Anspruch nimmt als ohne Hilfe. Und ob man nun mit Kindern spielt, Musik macht oder ein Buch liest – dieselbe Tätigkeit kann je nach Atmosphäre und Umgebung Energie verbrauchen oder Energie aufbauen. So lernen die Betroffenen, mit ihrem individuellen Energiekonto Prioritäten zu setzen und zu haushalten. Das Handbuch soll sie auch im häuslichen Umfeld daran erinnern und unterstützen, das Gelernte in den Alltag zu integrieren.
Die ersten Rückmeldungen auf diese Therapie sind durchwegs positiv. Die Betroffenen sind überglücklich, dass sie etwas dagegen machen können und sich so selber wieder als wirksam erleben. Sie haben ihr Selbstvertrauen und vor allem ein riesiges Stück Lebensqualität zurückgewonnen. Und mit den individuell definierten Massnahmen nehmen sie ein sehr effizientes Selbsttrainingsprogramm mit nach Hause.